Das Kind saß auf seinem
Schlitten in dem großen Garten, in dem es aufgewachsen war, mit
seinen Obstbäumen und Beerensträuchern, dem alten Kirschbaum, der
immer noch herrliche Früchte im Sommer schenkte. Aber nun war es
Winterszeit, bald wollte das Christkind Einzug halten und das Mädchen
fragte sich, ob es ihm jenes Buch bescheren würde, das es sich
gewünscht hatte.
Es wusste wohl, dass es
solche Bücher nicht gab, in denen sich die Prinzen und Prinzessinnen
der Märchenfiguren bewegten wie in der wirklichen Welt, doch es
hoffte, dass man so etwas erfinden könnte, freuen würde es sich
auch über ein neues Kleid für die Puppe... Einstweilen saß es auf
diesem Schlitten, eigenhändig vom Vater angefertigt, mit den dünnen
Schuhen im knarrenden, verharschten Schnee, sah hinauf zum
Himmelszelt und versuchte die leuchtenden Sterne am klaren
Nachthimmel zu zählen; denn die Dunkelheit war mittlerweile
hereingebrochen.
Es lauschte dem Lied der
Bäume, die ihre Eis-überkrusteten Äste und Zweige bewegten,
knarrten und wimmerten als ob ihnen großes Leid widerfahren wäre
und versuchte, diesen wortlosen Gesang zu verstehen, ohne zu
bemerken, dass Kälte und Feuchtigkeit durch die Kleidung krochen,
sinnierte über das Geschehene des Nachmittags und ließ es noch
einmal in Gedanken vorüberziehen. Wie war es doch so schön gewesen
mit den vielen Kindern, die in den „Alten Weg“ (so hieß die
unbefestigte alte Hauptstraße des Dorfes) zum Rodeln an die
abschüssige Straße gekommen waren und sich scherzend und rufend die
Zeit vertrieben. Es waren auch große Buben dabei, die aber
rücksichtsvoll mit den Kleineren umgingen und sie nicht bedrängten.
Es gab auch darunter welche, die keine Schlitten besaßen, und mit
anderen auf großen, mehr-sitzigen Schlitten mitfuhren...Aber das
einsitzige Gefährt des Kindes bot keine Mitfahrgelegenheit. Man
wusste sich jedoch zu behelfen, einer der Großen legte sich
bäuchlings auf den kleinen Schlitten mit den dicken Holzlatten, es
durfte sich auf ihn setzen – das kleine leichtgewichtige Mädchen
war wohl keine Last – und so ging es mit hoher Geschwindigkeit
hinab, immer und immer wieder....
Wind wehte heftiger durch
die Zweige, er brachte den Geruch nach den Feuerstellen des Dorfes
mit und drang eisig durch die Kleidung der Kleinen. Nun spürte sie
auch den Kälte-Schmerz der erstarrten Füße, und der Zauber der
Sterne und des Schnees war verflogen. „Ich muss zur Mutter gehen“,
dachte sie, „da ist es sicher warm, sie wird mir die Füße in den
warmen Backofen legen und auf die Ofenplatte einen Apfel aus
Großmutters Garten, dann ist's wie am Weihnachtsabend“. Mühselig
stapfte sie auf den schmerzenden Füßen durch den Garten, zog den
Schlitten hinter sich her, stellte ihn noch sorgsam in den
Schuppen... er brauchte sicher auch noch ein bisschen Ruhe, bevor er
am morgigen Tag wieder eingesetzt werden konnte...
Eine Kerze brannte in der
kleinen Küche, der Ofen bullerte, dass die Herdplatte fast glühte
und die Mutter zog entsetzt die zu Eis erstarrten Schuhe (sie waren
offenbar aus gepresster Pappe gefertigt und schnell durchnässt) von
den Füßen und steckte sie zum Erwärmen in den Backofen. Endlich –
nach einer etwas schmerzhaften Prozedur mit „Ameisenlaufen“ in
den kleinen Geh-Werkzeugen – konnte der tröstliche Bratapfel von
der Ofenplatte genommen werden, aus dessen aufgeplatztem Röckchen
saftig und süß das warme Fruchtfleisch hervorquoll, und das Mädchen
fragte sich, ob Schneewittchens Apfel, den es von der bösen
Stiefmutter angenommen hatte, evtl. von dieser Köstlichkeit wie das
Bratäpfelchen gewesen war....
Das Christkind hatte die
Kinderwünsche erfüllt: Die Puppe war neu gewandet und das Buch mit
den beweglichen Märchenfiguren des Schneewittchens lag unter dem
kleinen Tannenbaum mit dem alten Christbaumschmuck. Man konnte die
„Akteure“ zwar nur vermittels eines Papp-Streifens hin und her
schieben, aber diese einfache Lösung eines schier unerfüllbaren
Wunsches schenkte diesem kleinen Mädchen am Heiligen Abend des
Jahres 1949 tiefe Zufriedenheit und himmlische Glückseligkeit.
c) Elke Gelzleichter