Montag, 5. Dezember 2011

Lasst uns froh und munter sein – Nikolausgeschichten

Erlebnisse mit und als Nikolaus
Es ist sonderbar, dass gerade die Vorweihnachtszeit spezielle Erinnerungen wachruft, Lustiges, Trauriges, Unheimliches, alles Erlebnisse in der Vorweihnachtszeit, die bis ins Alter hineinreichend, die Empfindungen für jene Zeit prägten. Zum Beispiel jener Jesuiten-Pater, der in „Zivil“ zwischen den Tannenbäumchen und Buden des ersten Weihnachtsmarktes am Ort stand und mich merkwürdig grinsend mit dem Zeigefinger heranzuwinken versuchte. Es beschlich mich damals (ich war 28 Jahre, verheiratet, berufstätige Mutter von zwei Kindern) ein so übles Gefühl, dass ich seit dieser Zeit einen Bogen um diese Märkte mache,  nicht nur wegen des miserablen Glühweins.   
Aber Nikolaus und Knecht Ruprecht,  diese unumstößlichen Institutionen der Kindheit am 6. Dezember, geistern als heitere „Flashlights“ oder „Bonbons“ durch die Erinnerungen.
1949:
Es war ein grauslicher Knecht Ruprecht, die Kapuze so tief in das Gesicht gezogen, dass man es nicht erkennen konnte. Er rasselte mit Ketten und zeigte warnend einen großen Sack mit Geschenken für Brave und als Transportmittel für Böse. Dieser merkwürdige Heilige konnte mich aber nicht erschrecken, nicht nur weil er aus dem Sack eine kleine Tüte mit Gebäck für mich herauszauberte, sondern auch, weil er die Handschuhe meiner Mutter trug!

1950:
Ein baumlanger Nikolaus stand in der Küchentür. Eigenartiger Weise sprach er mit der Stimme des „Onkel Fritz“, des langjährigen Verlobten der Tante meines „Ziehbruders“ und Enkels der Hausbesitzerin, der diesen „Onkel“ auch sofort erkannte und mit den Worten begrüßte: „Nickelos, Nickelos, was willschde dann mit mir, ich hol‘ dich an de Zibbelkapp (übersetzt: Zipfelmütze) und setz dich vor die Dier (übersetzt: Tür)“. Dieses Mal fiel für ihn das Nikolausgeschenk aus.  Der Umstand, dass der Nikolaus im „zivilen“ Leben Emanuel mit Familiennamen hieß, sorgte für einen Heiterkeitserfolg im nahen Bekanntenkreis, dort trat der junge Mann ebenfalls als Nikolaus auf. Er wurde in diesem Fall von dem betreffenden kleinen Jungen mit dem Lied „Sei mir gegrüßt Emanuel“ empfangen, worauf der Nikolaus vor lachen fast geplatzt ist.


1952:
Der junge Ehemann einer älteren Kusine hatte sich erboten, den Nikolaus „zu geben“. Er packte eine Unmenge an Süßigkeiten aus dem Sack, die nachweislich nicht im Budget meiner Eltern lagen. Meine Mutter (die sich nie gerne etwas schenken ließ) jammerte ständig „Nikolaus, das ist zuviel, das hast du sicher woanders hinbringen sollen“. Zu meiner Begeisterung ließ sich aber dieser Nikolaus keineswegs beirren und packte weiter die Herrlichkeiten aus, die ich aber wegen eines kleinen Buches unter den Geschenken fast vergaß: Rosenresli von Johanna Spyri.
1957:
Der Nikolaus kam zu meinem kleinen dreijährigen Bruder. Ich erkannte natürlich meinen Vater, der, ausgestattet mit meinem Regen-Cape und Wattebart, sich nicht weit in das Wohnzimmer vorwagte, schließlich hätte den Kriegsversehrten der Gang mit dem Holzbein verraten. Aber offensichtlich war der Vater aufgeregter als der kleine Bruder; denn er stammelte: „Kannst du auch ein Liedchen beten?“ „Nein“, antwortete der Knirps keck, „aber singen!“
1991:
Zu dem 3-jährigen Neffen sollte der Nikolaus kommen – kurzfristig. Ich stattete meinen Mann mit einem roten Morgenmantel mit Kapuze aus, dicken Winterstiefeln und einem dichten Wattebart aus. Der Kleine war sichtlich entzückt. Alle mussten mit ihm singen, an den Tisch setzen und der Nikolaus musste auch Weihnachtskekse essen. Als der Nikolaus schließlich gehen wollte, fing der Winzling an zu weinen. Nur mit Mühe konnte ihm erklärt werden, dass der Nikolaus auch noch andere Kinder besuchen müsse, die auf ihn warten. Der Nikolaus ging und demaskierte sich in einem Nebenzimmer, das vor der Wohnung lag, und kam als Onkel wieder zurück. Das Kind lächelte ihn an: „Aha, Bart ab?!“
2010:
Meine Kinder und Enkel wurden nie von einem Nikolaus heimgesucht, immer wurden sie am Morgen des 6. Dezember mit Geschenktüten überrascht oder es klingelte bei den Enkeln und die bewussten Tüten hingen an der Tür. In diesem Jahr wartete der 11-jährige Enkel ganz gespannt auf die Türklingel; denn ein großer Mistelzweig hängt über der Haustür, der Nikolaus sollte geküsst werden. Es klingelte, er eilte und öffnete:  Niemand da!
Die Oma ist eben noch flott.
Einen Teller buntes Allerlei und eine Tüte Überraschungen zum Nikolaustag!

2011:
Dieses Jahr wird es mit dem Küssen auch wieder nichts werden. Das Haus wurde umgebaut und jetzt müssen einige Treppen genommen werden, bis die Haustür erreicht werden kann.
Aber vorsichtshalber werde ich mich mit Nikolausmantel und –maske ausstatten. HOHOHOOO!!

2012:

Die Oma ist immer noch schnell - kein Kuss!
Gifs: Gifmania, 1,2,3gifs, Gifparadies, Gifmix
Text: Elke Gelzleichter 2010/2011

Donnerstag, 24. November 2011

Titanias Nachtkonferenz

Titania, die Elfenkönigin
Kein Ort mehr für Märchen – die Wälder


Der geheime Platz

Die klare kalte Nacht zaubert Reif auf die Waldwiese, die ein vollendet gerundeter Mond, der sich einen Hof zugelegt hat, wohlwollend beleuchtet.“ In dieser Nacht,“ sagt er sich, „werden sie nicht tanzen, die Elfen, die Schrate und alle anderen Naturgeister. Sicher wird bei dieser Kälte Titania, die Elfenkönigin, nicht Hof halten“. Aber hier hat er sich geirrt, der gute alte Mond, der auf den blauen Planeten blickt und wie kein anderer den Weltenwandel beobachtet und seit Jahrtausenden Geschlechter kommen und gehen sah.


Titanias kleine Leute


Titania streut Sternenstaub

Titania betritt das Rund, die Kälte beieinträchtigt weder sie noch ihre Schönheit, das geheimnisvolle Funkeln ihrer Krone lässt den weißen Reif auf den Gräsern verhalten funkeln. Noch steht sie aufgerichtet und einsam am Rand des Elfentanzplatzes, doch nur  durch eine leichte Handbewegung sprüht feinpudriger glänzender Sternenstaub als geheimer Ruf an die Kräfte der Natur.  Und nun kriechen sie, gleiten sie, zeigen sie sich:

Mondsplitter im Wellenspiel
Aus allen Bäumen und Gräsern, den Steinen, der Erde, dem Wasser – die Naturgeister: Gnome, Schrate und Dryaden, Elfen, Alben und Kobolde, Feen, Nöcke und Nixen, die ganze Schar der Natur belebenden Geister versammelt sich auf dem verborgenen Elfen-Tanzplatz am Ufer jenes verwunschenen Waldsees, der sich nur denen zeigt, die reinen Herzens sind. Auf seinen sanften Wellen über der heliotropfarbenen Tiefe zersplittert sich das Licht des Mondes, der  Gefallen an dem Wellenspiel findet und noch heller und strahlender sein Licht ergießt zum tollen Wassertanz der Mondsplitter.
Edle Einhörner

Oberon, der Elfenkönig

Titania überblickt die Versammlung: „Noch sind wir nicht vollzählig“, das erste Mal ertönt ihre Stimme, weich und melodisch, „Oberon, mein Gemahl und sein Heer haben sich noch nicht eingefunden.“ „Oberon, Oberon...“ säuselt es aus den Bäumen, flüstern die Steine, plätschern die Wellen, schallt es in den Schluchten, „Oberoon...“.

Puck, Oberons Gehilfe

Kobolde

Der Elfenkönig lässt sich nun nicht mehr lange bitten – mit dem Ertönen seines Hifthorns bricht es aus den Büschen, die kleine streitbare Schar des Oberon inmitten einer Herde der Edelsten, der schneeweißen  Einhörner,  eines den Elfenkönig selbst auf seinem Rücken tragend. Als Jüngling zeigt er sich, der verehrte Elfenfürst, der sich nun tief vor Königin verneigt. „Ihr habt gerufen, meine Königin, was ist euer Begehr?“ Indem Titania den Gemahl an ihre Seite zieht, erhebt sie abermals die Stimme, dieses Mal in voller Stärke:


Hifthorn Oberons

„Meine liebsten Freunde!
Hierher habe ich Euch gerufen an den verschwiegensten Ort der Erde, bisher noch unentdeckt, aber immer näher rücken uns die Motorsägen der Menschen, immer mehr unserer Behausungen werden gefällt, immer tiefere Wunden in die Flanken unserer Mutter Erde geschlagen.

Titania und Oberon (Wikipedia)


Vielen von euch, meine lieben Dryaden, wurden die Wohnungen genommen, Eure Bäume gefällt, vielfach müsst ihr euch nun einen Baum teilen, eure Schutzfähigkeiten verlieren an Kraft, eure Ausgleichsfähigkeit für Saat, Ernte und Ruhe wird dadurch in Frage gestellt.
Eisbären
Die Eisprinzessinnen verlieren immer mehr an Eispalästen, ihre Tiere, die weißen Bären, haben ebenfalls keinen Lebensraum mehr.
Gierige Menschen fällen die Wälder, um Geschäfte zu machen, sei es für Papier, sei es um Plantagen für Palmöl anzulegen, sei es um teure Buntmetalle oder Edelsteine zu schürfen, sei es um riesige Staudämme zu bauen, die sogar den Menschen ihre Wohnungen nimmt. Unsere Mutter stöhnt und weint, sie ist krank und hat ein Fieber, das sogar die Gletscher tauen lässt.
Unzählige Tierherden, Züchtungen, die nur geboren werden, um zu sterben, brauchen Platz für Weiden, dafür nehmen sie uns den Raum.

Erfahrungen mit der Natur

Menschen haben immer unseren Weg begleitet. Sie haben uns in alten Zeiten respektiert und nie mehr genommen als sie wirklich zum Leben brauchten.
Aber dieser Respekt für Euch, für unsere Mutter, für das Leben selbst ist verloren gegangen. Wie wird sich der Mensch des Heute im Schatzhaus des Lebens, im Spiegel der Erkenntnis sehen: Wie der Moloch des blutigen Baal, dem sie einst ihre unschuldigen Kinder opferten. Als Ersatz für diese blutigen Riten, opfern sie täglich  noch unschuldigere, hilflosere Wesen in noch grausameren blutigeren Ritualen. Ihre Mäuler triefen vor Gier nach Blut: dem Blut unserer Mutter Erde, dem Fleisch unschuldiger Tiere, Blutopfer für angebliche Forschung und Wissenschaft.

Oberons Verwandlung

Merkwürdige Lichter

Freunde, Völker der kleinen Leute, Bewohner aller Wesenheiten! Ich fordere
euch auf, lasst uns allem ein Ende setzen!  Zerstört die Frevler! Schützt die, die uns unterstützen, ruft den 10. Planeten, ruft die schwarze Schwester der Sonne! Mein Gemahl und ich werden ein äußeres Zeichen setzen für unseren unwiderruflichen Entschluss!“
Oberon erhebt die Hand wie zum Gruß, doch sie erzeugt ein eigenartiges Licht, allmählich verwandelt sich Titanias goldenes Haar in ein Schwarz, das vom Dunkel der Nacht geschluckt wird, auch Oberons Strahlen weicht der Dunkelheit.

Titanias Verwandlung



Der verwandelte Oberon

Im Volk der kleinen Leute beginnt ein Summen und Raunen, das immer mehr anschwillt und schließlich wie  zu Donnergrollen oder dem Rauschen großer Wasserfälle anschwillt . Das seltsame Leuchten erlischt, Nebel verhüllt den verborgensten Winkel der Erde, nur Junker Reif betritt den Rasengrund und überhaucht alles mit seinem eisigen Atem. Der Mond verbirgt sich hinter einem Wolkenvorhang, so dass ein schwarzes Tuch sich über See, Wald und Wiese gebreitet hat.


Zwei Sonnen

Der junge Morgen sieht zu seinem Erstaunen zwei Sonnen, es scheint, als ob eine sich auf Wanderschaft begibt, sie zieht über den Himmel und nähert sich dem altbekannten Gestirn unseres Sonnensystems – plötzlich sind beide Schwestersonnen miteinander vereint, das Wirken der verborgenen  Sonne beginnt. Nur wenige Menschen haben dieses Phänomen gesehen und nur wenige wissen, was es bedeutet.

Hast du sie  gesehen, die schwarze Schwester der Sonne?


Tief im Wald rieselt eine Quelle an einem verborgenen Ort,
wer aus ihr trinkt, dessen Augen werden licht und froh
und er vermag anderen zu helfen.
Die Quelle aber heißt Liebe.

Aus der rechten Quelle schöpfen
Bildquellen bzw. animierte Gifs, soweit nicht anders bezeichnet, von http://www.animated-gifs.eu, gif-paradies, gifmania, 1,2,3 gifs
Text: Elke Gelzleichter, Nov. 2011

Montag, 7. November 2011

Mary Poppins fährt Bus.

Im Zauber eines kurzen Jahres
Sie hätte mit dem Auto zur Dienststelle fahren können, sie besaß einen Führerschein. Aber sie liebte es, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benutzen, sie lassen es ihrer Meinung nach zu, dass die Menschen aus den Stereotypen des Alltags hinausfallen. Jeden Morgen vielleicht die gleichen Gesichter, aber jeder Morgen zeigt ein anderes Gesicht, am ausgeprägtesten in den Mienen der Menschen: Bekanntschaften wurden geknüpft, kleine Gespräche geführt,  und der Tag begann mit einem Lächeln.
Viele Jugendliche stiegen an den Haltestellen zu, blieben  meistens an Bord bis zur Endstation. Sie blickte oft wie unbeteiligt und verschlossen aus dem Fenster, jedoch die Ohren waren nicht verschlossen, oft war die Hilflosigkeit in der kleinen Gruppe, die sich jeden Morgen einfand, nicht zu überhören; denn ein Rest von Hausaufgaben war immer noch zu erledigen,  niemand zu Hause erübrigte offenbar Zeit für die Fragen eines Kindes.
Sie fand, dass es an der Zeit war, sich einzumischen, sie gab Ratschläge, die dankbar angenommen wurden, erteilte  gelegentlich eine Art Deutschunterricht, indem sie half, Sätze zu formulieren, andere Ausdrucksweisen anzubieten, gewürzt mit kleinen Andekdoten aus der eigenen Schulzeit und gelegentlichen Scherzen. Heiterkeit breitete sich aus: Der Busfahrer genoss es, keine streitenden Jugendlichen, kein Gegröhle. Und auch ihr gerieten die morgendlichen Fahrten meistens zu kurz. Lustig war es in der kleinen Gesellschaft, oft brach sie selbst in perlendes Lachen aus... Es blieb nicht aus, dass der Tag kam, an dem man ihren Vornamen wissen wollte. Sie nannte ihn und fragte nach dem Grund: „Weil es schade ist, dass du nicht unsere Lehrerin bist“, ein wunderbares Kompliment, das aber gleich noch eine Steigerung erfuhr: „Manchmal kommt es uns vor, dass du Mary Poppins bist und wir warten darauf, dass du hochfliegst, wenn du lachst!“

Sie war erschüttert, sie gab doch wenig, aber zugleich erschien es dieser Gruppe jugendlicher Mädchen wie  ein Gruß aus einem Märchenreich... wie bestürzend.
Es blieb noch ein zauberhafter Sommer. Mary Poppins fuhr Bus, gab Rat und lachte in dieser Gruppe heranwachsender junger Damen, die sie in alle ihre Fragen einbezogen -  Freunde, Familie und Schule – bis zum Herbst.
Das Schuljahr war zu Ende, auch für die Mädchengruppe – sie zerstreute sich: Einige begannen eine Lehre, andere wechselten auf eine andere Schule.
Der Zauber, im Rückblick einem Gemälde in Pastellfarben ähnelnd, war verflogen. 
 Aber dennoch war etwas geblieben: Manches Mal, wenn die Art ihres Lachens andere stört, sagt  sie: Lacht lieber mit, es gab eine Zeit, da hat man mich deshalb für Mary Poppins gehalten.










Gifs: Gifmania
Text Elke Gelzleichter, Nov. 2011

Samstag, 29. Oktober 2011

Die Dame in den Schwertlilien

Eine kleine, fast phantastische Erzählung.
Noch versprühten einige dunkle Wolken Regen, der fein herniederstäubend vor der Sonne, die jetzt doch durch die blau-grauen Massen brach, seltsam glitzerte. Über der Landschaft, in ein irreales Licht getaucht, bildete sich die riesige Brücke eines bunten Regenbogens und gleichsam sein Schatten, schwächer im Abbild, ein zweiter dazu.
Das Kind hatte ihn gesehen, diesen herrlichen Regenbogen, von der hohen Terrasse aus, die einen weiten Blick in den Garten zuließ, in die Allee der Johannis- und Stachelbeerbüsche, weiter durch die Mirabellen- und Apfelbäume hindurch, vorbei an dem reifenden Weizenfeld, über die Wiesen zu einem kleinen Wäldchen. Dort schien das Ende des wundersamen Bogens zu sein. "Ich will zum Regenbogen gehen", sagte das Kind, "weit kann es nicht sein, ich kann sein Ende sehen". Die Kleine schüttelte ihre blonden Löckchen und schritt tapfer aus, ihre Puppe fest an sich gepresst, auf ihren langen Erkundungsweg, vorbei an dem dicken Kirschbaum im Hof, dessen herzförmige Früchte verlockend im dunklen Laub leuchteten. "O, ja", sagte sie, "ich will mir etwas Wegzehrung nehmen", kletterte auf die alte Bank, die müde an den Stamm gelehnt, geduldig Wetterwechsel und Alter ertrug und nun auch noch das leichtfüßige Kind, das ein paar besonders schöne Früchte pflückte und in die Tiefe der Schürzentasche verschwinden ließ, ohne der rötlichen Flecke zu achten, die sie auf dem verwaschenen Rosa gleich verblühender Hortensien hinterließen. Über jedes der Ohren hing sie noch ein Kirschenpärchen, das zwar durch die Löckchen verdeckt wurde, aber mit jeder Kopfbewegung durch das Gekringel hindurch blitzte. "Ich will besonders hübsch sein, für den Regenbogen", flüsterte das Mädchen der Puppe ins Ohr, "ich habe gehört, dass Engel auf ihm wandern, da ziemt sich kein Alltagsgewand."
Die Puppe lächelte wie immer mit halb geöffneten Lippen und blickte stumm aus blauen Glasaugen. Weiter ging der Weg über knirschende weiße Kieselsteine, "von Hänsel und Gretel", hatte das Kind gemeint, "weil sie im Mondlicht schimmern". Der starke Duft eines Galanthus erweckte seine Aufmerksamkeit, es pflückte eine halb geöffnete Blüte und steckte sie zu seiner Haarspange, um so verziert durch die Streuobstwiese unter den Mirabellen- und Apfelbäumen zu wandern, die schon Fruchtansätze trugen, von denen aber etliche vom starken Regen abgelöst zur Erde gefallen waren. Es kümmerte sich nicht darum, auch nicht um den feinen Sprühregen, der immer noch Kleider und Haar netzte, sondern sah nur zum Regenbogen, der immer noch in weite Ferne gerückt schien. Der Weg schlängelte sich nun entlang des Weizenfeldes, gesäumt von Mohn und Kornblumen, Margaritten und vereinzelt einer Wegwarte. "Warte Du nur", nickte das Mädchen einem besonders großen, verzweigten Zichoriengewächs zu, "dein Ritter kommt noch, dich zu erlösen", weil es um die Legende der Jungfrau wusste, die auf ihren Geliebten wartet, der in den Krieg ins Heilige Land gezogen war.
Nun dehnten sich weite Wiesen, von einem breiten, mit lehmigen Fluten durchzogenen Bach bis zum Rand eines kleinen Waldes hin, halbhohe Gräser mit zarten rosa und lila Wedeln wechselten mit Sauerampfer, weißen und roten Kleeblüten. Nun wurde es dem Kind doch beklommen; denn von Ferne sah es Haus und Garten nur noch wie Miniaturen aus der Spielzeugschachtel, es drückte die Puppe fester an sich und meinte, wohl eher sich selbst zur Beruhigung als der stummen Gestalt, "nur noch ein Weilchen, gleich sind wir am Ende des Regenbogens" und dann ließ ein Anblick wie aus einem Zaubergarten es vor Freude auf einem Bein hüpfen. An dieser Stelle war der Bach durch eine Wiesensenke übergeflossen und hatte durch sein sumpfiges Gelände einem Meer von blauen und gelben Teich-Schwertlilien einen Garten bereitet.
Ein Knüppelweg führte durch den unsicheren Grund und über eine Hängebrücke bis zum Wäldchen aus Krüppelkiefern, Ginster und einigen hohen alten Buchen. Dorthin war aber der Blick des kleinen Mädchens nicht gerichtet, die herrlichen Schwertlilien hatten sein besonderes Interesse geweckt. "Davon werde ich der Mutter welche bringen, dann wird sie mich nicht so sehr tadeln" dachte es bei sich und schon versuchte es, ein Füßchen auf die sumpfige Wiese zu setzen.
Doch es spürte, dass es dem Boden an Festigkeit fehlte und erinnerte sich an die Mahnung der Mutter, nie den festen Boden zu verlassen und lieber einmal ausgetretene Wege zu gehen als auf einem schmalen Steg über unsicheres Gebiet, das jemanden in die Irre führen und versinken lassen könne. Es suchte nun nach einem besseren Weg, und bestieg geschwind eine kleine Anhöhe, von dort wollte es über das Schwertlilien-Tal blicken, um einen sicheren Zugang zu den Blüten zu finden. Plötzlich zeigte sich inmitten der grünen Büschel der Lanzenblätter und der Blumenfülle eine Dame, als wäre sie einem alten Bild entstiegen in einem grau-blauen losen Gewand, die mahnend den Finger hob. Das Mädchen verharrte, wusste nicht ob es zu ihr eilen sollte; denn dort wo sie stand, hätte doch fester Grund sein müssen. Als könne sie die Gedanken der Kleinen lesen, schüttelte die Dame den Kopf und zeigte mit dem ausgestreckten Arm in die Richtung, von der das Mädchen gekommen war. Es war wie der deutliche Befehl "geh' nach Hause".
O, wie war das Kind erschrocken, es dachte daran, dass sicher schon eine ganze Zeit seit seiner Wanderung vergangen war und die Mutter sich sicher sorgen würde. Schade, dass es ihr keine Lilien als Geschenk mitbringen konnte, doch gehorsam machte es sich auf den Heimweg. Sicher waren die gelben und blauen Schwertlilien der Garten der schönen Dame und es wollte sie nicht weiter verärgern. Es lief eilig über die Knüppeldamm durch den Sumpf zurück und so sehr es auch schaute, die Frau war nirgends mehr zu sehen. Aber seltsam, 3 tiefblaue Iris - so heißen die Schwertlilien mit ihrem anderen Namen - lagen wie frisch gepflückt plötzlich vor ihm auf dem Weg und es hatte zu seiner Freude doch noch ein Geschenk und einen Beweis für sein Erlebnis.
Die Puppe in einem Arm, die drei Blumen in der anderen Hand hüpfte die Kleine fröhlich den Weg nach Hause, froh bald wieder bei der Mutter sein, wie ein Schiff im sicheren Hafen. Ein leichter Wind hatte nun vollends die dunklen Wolken weggeblasen, Sonnenlicht strahlte über die ganze Natur und ließ nur noch die Tropfen, die auf Gräsern, Büschen und Bäumen hingen, wie kostbares Geschmeide funkeln, aber auch der Regenbogen hatte sich aufgelöst wie Nebeldunst. Auf der Höhe des Weizenfeldes kam auch die Mutter schon entgegen, angstvoll, sie hatte ihr Töchterchen schon überall gesucht und tadelte sich selbst, ihre Aufsicht während der Hausarbeit zu sehr vernachlässigt zu haben und so nahm ohne große Vorwürfel ihr Kind in die Arme, das sogleich - wie ein Wasserfall sprudelnd - von seinen Erlebnissen zu erzählen wusste.
Aber bei dem Bericht über die Dame in den Schwertlilien schauderte es der Mutter und sie drückte ihr Kind noch einmal fest an sich. Aber ausgeschimpft hat sie es  trotzdem und streng – unter Androhung empfindlicher Strafen – darauf eingeschworen, niemals mehr den festen Boden verlassen zu wollen.
Das hat es auch getan, aber Schwertlilien – besonders im tiefsten Blau – sind heute noch - im Erwachsenenalter - ihre Lieblingsblumen.

Epilog: Man sagt, die Schwertlilie sei  ein Symbol für die Götterbotin Iris, die über die Regenbogenbrücke geht, aber auch im abendländisch-christlichen Denken ein Symbol für Maria.

Abb.: Wikipedia
Gifs:   Gifparadies

Text: Elke Gelzleichter 2010