Sonntag, 6. Oktober 2013

Vom Moosbären, einem küssenden Baum

 
   

 

Vom Moosbären, einem küssenden Baum und anderen merkwürdigen Begebenheiten

Viele Wege führten durch den Wald mit hohen Tannen, die ihre langen Wedel im Wind treiben ließen, niedrigem Buschwerk eines neuen Waldes, der nach einem Windbruch sich im Kleide jugendlicher Birken und zart benadelter Kiefern zeigte, die als Erste zwischen Totholz und Erika zum Licht strebten. An einem dieser Wege, der zu Füßen eines Hanges mit uralten Buchen und Eichen entlangführte, stand eines dieser bemoosten alten Häupter und langweilte sich grässlich. „Ewig“, säuselte der Alte mit seinen Blättern, die Maler Herbst schon mit leichtem Gelb betupft hatte, „ewig, stehe ich hier, und sehe nur die alten Kameraden, die allmählich das Zeitliche segnen, umfallen oder elend im Klingen der Sägen darniedergehen. Drüben im Birkenwäldchen ist noch reges Leben, wenn das Wild sich im Gebüsch versteckt. Wie lange ist es her, dass ein Reh in meinem Schatten ruhte, immer das Gleichmaß Frühling, Sommer, Herbst und Winter, immer die Eintönigkeit von Wind, Regen und Sonne und ewig singe ich das gleiche Lied meiner Blätter, wenn ich doch pfeifen könnte, wie jener junge Bursche der kürzlich durch den Wald streifte. Ich will es versuchen, mit dieser Kunst, ein Liedchen zu pfeifen“.
Nun begann er zu üben, versuchte Lippen vorzuwölben, diese verzweifelten Anstrengungen ließen die Rinde quer einreißen. Töne entlockten sich seinem Stamm, es klang wie das ferne Pfeifen eines Zuges. Immer wieder spitzte der Baumgreis die Lippen und flötete, was das Zeug hielt – doch nichts Klangvolles kam über die rissigen Rindenlippen, nur ein Pusten und Tröten zum Steinerweichen. Und so kam es, dass auch die Dryade des Baumes sich entsetzt die Ohren zuhielt und aus ihrem geschützten Domizil heraustrat, um nach der Ursache dieses entsetzlichen Lärms zu sehen. „He, alter Baum“, wisperte sie, „was ficht dich an, die beschauliche Stille unseres Waldes, die Ruhe der Natur mit lautem Schrecken zu stören?“ Der Greis wedelte verloren und verlegen mit den Ästen, so dass ein paar Blätter stoben. „Ich wollte das Pfeifen erlernen“, flüsterte er kleinlaut. Die kleine Dryade kicherte und hielt dabei die Händchen vor den Mund. 
 

 
Sie hatte nun aber völlig übersehen, dass ein dunkelgrüner Moosbär herangerobbt war, 
 denn Moosbären bewegen sich nur bäuchlings wie Reptilien vorwärts, pflegen aber am liebsten der Ruhe in feuchten Waldgebieten, damit sie richtig dickes, weiches Moos ansetzen können, so dass sie ganz davon bedeckt sind und wie merkwürdige modrige Baumstämme aussehen. „Pfeifen wirst du wohl nie erlernen, Alterchen“ brummelte der Moosbär zwischen seinen grünen Stummelzähnen, „aber zum Küssen könnte es schon reichen“. Die kleine Dryade lachte und küsste die rindigen, rauhen Lippen des Baumgreises und die wuscheligen grünen des Moosbären. Nun breitete sich Heiterkeit im Wald aus, alle Bäume lächelten in der Sonne, wehten leicht mit ihren Zweigen und die kleine Dryade küsste immer wieder den Baum und den Moosbären und konnte gar nicht damit aufhören; denn alle hatten einen Heidenspaß mit dieser Beschäftigung. Ob sie mittlerweile das Küssen beendet haben, ist nicht bekannt. Aber wenn Ihr in den Wald kommt, hört einmal genau hin, vielleicht hört man sie noch schmatzen. 
 


© Elke Gelzleichter 05.10.13

Sonntag, 22. September 2013

Die Geschichte vom alten Auto, das grün werden wollte

K

ennt ihr Herrn Lämmermeier? Also, Herr Lämmermeier wohnt um die Ecke und besitzt einen riesigen Fuhrpark, das bedeutet er verfügt über sehr, sehr viele Autos, die in einer Garage von gewaltigen Ausmaßen untergebracht sind.

Da stehen sie nun dicht nebeneinander, jedes mit einem anderen Aussehen, von einer anderen Firma hergestellt, manche sogar aus fernen Ländern und alle schauen sehr hübsch aus und sind  daher sehr, sehr eitel, so dass sie sich mit Vergnügen gegenseitig im auf Hochglanz polierten Lack und den edlen Metallteilen widerspiegeln. Es gibt richtig alte Wagen darunter, die besonders gepflegt werden, Herr Lämmermeier nennt sie „Oldies“  Manchmal, wenn Herr Lämmermeier Zeit erübrigen kann - und das ist sehr selten - darf eines der Autos mit ihm hinaus auf die Landstraße, und es kann dann sehen, wie sich alles verändert hat. Sie sehen es jedes Mal wie schnell sich aus Feldern und Wiesen Wohngebiete entwickeln, besonders den „Oldies“ gefallen diese Veränderungen nicht, sie quälen sich auf den langen Asphaltbändern,Straßen genannt, durch die Häuserschluchten oder auf den Autobahnen. Dieses hohe Tempo liegt ihnen gar nicht. Darüber klagen sie in der Nacht, wenn alles schläft; denn ein kleiner grüner Kobold hat ihnen für die langen Nächte die Gabe der Sprache verliehen. Dann überlegen sie, wie sie üblen Fahrten entrinnen können - vielleicht einfach stehen bleiben? „Nein“, widerspricht ein betagter „Oldie-Mercedes“ bei einer dieser Überlegungen, „bloß nicht, sonst werden wir demnächst verschrottet“. „Verschrottet? Wie schrecklich“...Dieses schlimme, endgültige Schicksal wollte keines der Autos herausfordern, wobei einige der neueren Fahrzeuge diese Aussichten eines nahenden Endes nicht für sich in Betracht ziehen; denn sie sind durch die Ingenieure, die sie ersonnen haben, mit moderneren Techniken ausgestattet worden, so dass sie weniger Benzin oder Dieselöl verbrauchen. Das erfüllt sie mit Stolz und sie nennen sich „umweltbewusst“. Etwas scheelen Blickes wird dagegen jenes Auto angesehen, das zur Fortbewegung Sprit aus Pflanzenöl benötigt. „Es ist nicht meine Sache“, meint jenes Auto gleichmütig auf die Vorhaltungen der Anderen in der Nacht, „wenn Menschen ihr eigenes Essen in meinen Tank stopfen, es ist auch meine Nahrung und ich bewege mich damit, wenn es gefordert wird“. „Eigentlich bist Du dann nicht wirklich umweltbewusst!“ So lautet die Schlussfolgerung der übrigen Gesellschaft der Fahrzeuge, dann flüstern sie von „grünen Autos“, die es demnächst geben würde. „Grün?“ schreckt ein kleiner, grüner Lastwagen auf, „ich bin grün und schon sehr alt, das ist nichts Neues. Ich habe schon dem Vater des Herrn Lämmermeier seit seiner Geschäftsgründung beim Warentransport geholfen...Das ist wirklich nichts Neues“. „Alterchen“, lacht einer der Neuwagen, „du bist wirklich von gestern, grün bedeutet, dass es Neuwagen gibt, die regelrecht durch Strom aus der Steckdose versorgt werden oder andere, die Erdgas an der Tankstelle tanken, manche sind Mischtypen, bei denen die Möglichkeit besteht, sowohl durch Strom als auch durch herkömmliche Verbrennungsmotoren angetrieben zu werden. Psst...man munkelt auch davon, dass es Autos gibt, die mit Wasserstoff, einem geschmack- und geruchlosen, vollkommen ungiftigen Gas, fahren. Das Tollste dabei ist, dass alle diese neuen Typen nur 95 mg Kohlenstoffdioxid pro gefahrenem Kilometer ausstoßen. Dieses Kohlenstoffdioxid, auch kurz als CO² bezeichnet, führt, wie du sicher auch schon gehört hast – in zu hoher Ansammlung um den Erdball zur Veränderung des Klimas. Mindestens 30 Automarken haben schon Neuerungen, die technisch so weit fortgeschritten sind. Es soll sogar welche geben, die nur 79 mg Kohlenstoffdioxid pro gefahrenem Kilometer in die Luft blasen!“ „Ich habe davon schon gehört“, murmelte der alte grüne Lastwagen, ich frage mich nur, was Kohlenstoffdioxid eigentlich ist“. „Ach, das weißt Du nicht“, ereiferte sich ein roter Sportflitzer, der vor Aufregung ständig sein heruntergeschobenes Dach schloss und wieder öffnete, „das ist auch ein Gas und eigentlich ein Bestandteil der Luft, die zum Leben gebraucht wird, aber – wie schon gesagt – ein Zuviel schaffen auch die Wälder nicht mehr, die sonst Co² in Sauerstoff verwandeln, und dann bildet sich sozusagen „dicke Luft“ um die Erde...“  Der alte grüne Lastwagen scheint  immer kleiner zu schrumpfen: „Das habe ich alles nicht, ach wäre ich doch wirklich grün von innen heraus“.

 

„Alterchen, das Umrüsten für dich wäre wohl zu teuer“, lacht der rote Sportflitzer lauthals, „warte du still in deiner Ecke. Es werden wohl deine letzten Tage sein.“ Der alte Grüne schweigt nun und er beschließt fest bei sich, alles zu tun, um ein echtes, modernes grünes Auto zu werden und nicht tatenlos in dieser dunklen Ecke auf die letzten Tage zu warten.  Nun überprüft er, wieviel Benzin sich noch in seinem Tank befindet und dann setzt der alte LKW seinen Plan in die Tat um. Plötzlich rattert sein Motor, er macht einen Heidenlärm, die Auspuffgase vernebeln die Garage, alle Garagenwagen fallen in diesen Lärm mit ein, obwohl sie gar nicht wissen, worum es geht – alles hupt, brummt, rattert ...bis ...ja bis Herr Lämmermeier, aufgeschreckt durch das Höllenspektakel, eines der Garagentore öffnet. Alle schweigen ganz erschrocken still, nur der alte Grüne rattert und faucht, was das Zeug hält, und obwohl Herr Lämmermeier nach allen Kräften versucht, das Auto zum Schweigen zu bringen, nichts hilft. „Ich werde ihn wohl zu meinem alten Herrn bringen müssen“, denkt sich Herr Lämmermeier, es ist ja eigentlich sein Wagen. Er kennt sich sicher besser aus als ich.“


 
         

Den Gedanken folgt die Tat und bald wird der alte Grüne durch die Straßen des Stadtrandgebietes gelenkt, hinaus in eine ländliche Gegend, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen. Das alte Auto kennt die Gegend und freut sich riesig, wie oft hatte es diese Wiesen und Wälder passiert mit einer Ladung von Früchten und Gemüsen an Bord, um sie in die Geschäfte der Stadt zu karren. Schließlich wird ein hübsches kleines Haus erreicht, heute würde man es Cottage nennen, das fast verborgen hinter Taxushecken und wilden Rosen liegt, hinter denen sich die Weite eines großen Gartens erschließt mit Beerenhecken- und –sträuchern und unzähligen knorrigen, alten Obstbäumen. Ebenso knorrig wie einer der alten Obstäume tritt ein alter Mann vor die Haustüre des kleinen Landhauses. Er benutzt zwar einen Stock als Gehhilfe, aber seine Augen blitzen noch hell. Dass sein Sohn ihn nach so langer Zeit und dann so früh am Morgen wieder einmal besucht, wundert ihn jedoch sehr und er gibt seinem Erstaunen darüber Ausdruck, auch angesichts der Tatsache, dass sein geschäftiger Herr Sohn, ausgerechnet mit dem ältesten Auto des Fuhrparks durch die Gegend gereist ist. „Tja“, Herr Lämmermeier junior kratzt sich am Kopf, „ich weiß nicht, was los war. Nun steht er ganz ruhig hier, aber in der Nacht war der Lärm in der Garage nicht zum Aushalten, vielleicht, weißt Du ja, was ihm fehlt, Paps!?“ „Dann hilf mir mal, hinein. Sohnemann. Du weißt ja, so behend, will sagen beweglich, bin ich nicht mehr“. Als der alte Herr nun in dem alten Grünen sitzt und versucht, ihn in Gang zu bringen, tut dieser keinen Mucks mehr und springt und springt nicht mehr an. Obwohl noch genügend Benzin vorhanden ist, auch die „Kerze“ gereinigt wird, nichts hilft.  „Ach“, meint der alte Herr Lämmermeier, „lass ihn einfach hier stehen. Heute kommen wieder zwei junge Leute zu mir, die wissen vielleicht eher Rat. Sie sind so von der Natur und dem Garten so begeistert, dass sie gerne hier  werkeln und mir immer ein bisschen zur Hand gehen. Dafür können sie soviel Obst und Gemüse nehmen, wie sie möchten; denn ich weiß, dass sie auch Bedürftige, besonders Kinder, damit unterstützen. Du kannst ja deinen Fahrer bitten, dass er dich später abholt und vielleicht machst du heute auch ein paar Stunden Pause vom Alltagsstress, hier vor dem Haus, auf der alten Bank   ...vielleicht mit einer kräftigen Gemüsesuppe zu Mittag, wie in Deiner Kindheit.“ Der alte Herr legt dem Sohn die Hand auf die Schulter. Dieser hat schon längst beschlossen, diesen Tag hier draußen zu verbringen, bei dem Vater und in der Natur und blickt versonnen in die Rosen mit den summenden Insekten. – Später kommen sie, die jungen Leute, auf ihren Rädern, die sie als Fortbewegungsmittel bevorzugen und befassen sich gleich mit dem alten grünen Auto, das ihnen sehr gefällt, aber nicht als Fortbewegungsmittel. „Wir wollen ein echtes grünes Auto daraus machen“, lachen sie. Herr Lämmermeier junior runzelt die Stirn: “Umrüsten? Das wird zu teuer!“ „Nein, wir wollen es besonders umgestalten, nur zum Fahren kann es dann nicht mehr benutzt werden....“ Da lächelt  der alte Herr Lämmermeier: “Ich glaube das würde dem alten, treuen Gesellen sehr gut gefallen.“ Und so geschieht es auch. –

Ein paar Tage später:

Der alte grüne Lastwagen verlor zwar seinen Motor, aber überall – ob auf der Ladefläche, auf dem Dach, auf der Kühlerhaube, hinter der Stoßstange, an den Türen -  waren Jutetaschen auf- und angebracht worden, bepflanzt mit roten, gelbem und buntem Mauerpfeffer,  mit ungezählten Arten von Dach- und Hauswurz, all jenen Pflanzen, die sehr wenig Wasser verbrauchen, um sich zu vermehren. Ja, das war ganz nach dem Geschmack des alten Grünen, echtes Grün – nicht nur in der Farbe, sondern ganz umweltbewusst, ganz in die Natur eingebunden. Das alte Haus erhielt nun auch einen Namen: „Zum grünen Auto“, und vielleicht kommt ihr einmal daran vorbei auf euren Ausflügen und Wanderungen – ihr müsst nur die Augen offen halten.


Übrigens man kann es auch nur sehen, wenn man zu Fuß geht oder mit dem Rad fährt, weil es mittlerweile ganz zugewachsen ist ...

 


 

© Elke Gelzleichter 26.06.13, c/o www.kreativhimmel.de  www.wolf-amarok.de